Frauen im Gesundheitswesen

Gleichstellung im Medizin-Olymp? Ein Interview

Veröffentlicht am 10/03/2021

Dr. Larson, Gynäkologin

Fragen rund um die Gleichstellung spielen sicherlich auch in Ihrem Praxisalltag eine Rolle. Lassen Sie uns also darüber reden! Warum es vermehrt einen solchen Diskurs über Gleichstellung im Gesundheitswesen braucht? Ein Blick in die Statistik reicht. Während an Schweizer (und übrigens auch ausländischen) Universitäten der Grossteil der Absolvent:innen im Medizinbereich weiblich ist, gibt es jenseits der Universität immer noch weniger praktizierende Ärztinnen als Ärzte.

Wir haben anlässlich des internationalen Tags der Frau mit der Gynäkologin Dr. Michelle Larson gesprochen: Ein Interview über veraltete Rollenmodelle, die Herausforderungen für Frauen in der Chirurgie und den Mut, auch oder gerade als Frau, Forderungen zu stellen.

Der internationale Frauentag ist überflüssig. Fast.

Wir leben im Jahr 2021. Da sollte ein Tag der Frau doch eigentlich überflüssig sein, nicht?

“Ich finde es gut, dass man nach wie vor den Tag der Frau feiert. Es ist immerhin noch nicht lange her, dass die Frauen die gleichen Rechte wie die Männer haben. Ausserdem gibt es immer noch viel aufzuholen in Sachen Frau und Arbeit, immer noch weniger Frauen sind in der Arbeitswelt vertreten. Zudem gibt es immer noch mehr Ärzte als Ärztinnen, obwohl mehr Frauen ein Medizinstudium abschliessen,” so Larson.

Die Ärztestatistik (2018) zeigt tatsächlich, dass aktuell 43 Prozent der 37’525 tätigen Schweizer Ärztinnen und Ärzte Frauen sind. Dieses Ungleichgewicht ist heute jedoch deutlich abgeschwächt. Vor 70 Jahren stellten Frauen nur 12 Prozent der Gesamtärzteschaft. Und der Trend hin zu mehr Frauen in der Medizin geht weiter. Seit 2005 schliessen jedes Jahr mehr Absolventinnen als Absolventen ein Medizinstudium ab.

Mehr ausgebildete Ärztinnen, aber nicht mehr Chefinnen. Wo bleibt die Gleichstellung?

Hat sich eine Frau erstmal für die Karriere im Medizinbereich entschieden, warten dort oftmals starre Geschlechterrollen auf sie. Vor allem mit steigender Karrierestufe wird die gläserne Decke im Medizinbereich immer undurchlässiger. In jeder Altersgruppe sind Frauen seltener in den höheren Hierarchiestufen vertreten.

Und dann gibt es da noch Bereiche der Medizin, die von vornherein weniger Raum für steile weibliche Karrieren bieten: Wer sich bspw. als Chirurgin einen Namen machen will, steht noch immer als Einzelkämpferin da. Die Männer sind im Vergleich zu den Frauen in allen chirurgischen Fachgebieten in der Überzahl (Männeranteile von über 90%).

Auch Larson hat bereits Erfahrung mit Bereichen der Medizin gemacht, die sich immer noch in Männerhand befinden:

“Vor allem die Chirurgie ist ein Feld, in dem es Frauen immer noch schwieriger haben als Männer. Ich habe nach meiner Ausbildung selbst in der Chirurgie gearbeitet. Es war dort sehr männerlastig, der Ton war aggressiv. Wenn man(n) dort erfolgreich sein wollte, musste man(n) Tag und Nacht arbeiten. Dies konnte ich jedoch damals nicht in meiner Situation, darum habe ich die Chirurgie verlassen.”

Was braucht es im Schweizer Gesundheitssystem?

Die Schweizer Universitäten gehörten zu den ersten, die Frauen zum Medizinstudium zuliessen. Es ist nun bereits gut 150 Jahre her, dass mit Marie Heim-Vögtlin die erste Schweizerin an der Universität Zürich ein Medizinstudium abgeschlossen hat. Und trotzdem hat die Schweiz immer noch Aufholbedarf in Sachen Gleichstellung. Woran liegt’s?

Es gibt tatsächlich noch viele Bereiche, in denen es Frauen schwerer haben, Fuss zu fassen. So sind weniger Frauen in leitenden Positionen vertreten. Dies hat meiner Meinung nach viel mit den vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen zu tun. Diese müssten sich also ändern und es müsste ein Umdenken stattfinden, beispielsweise müssten Teilzeitstellen, für Männer und Frauen, geschaffen werden. Auch Kinderbetreuungsangebote müssten vermehrt angeboten werden.”

In den USA, wo Larson ursprünglich herkommt und mehrere Jahre in der Forschung tätig war, sei Kinderbetreuung übrigens viel selbstverständlicher als hierzulande. Die Frauen könnten es sich in den USA schlichtweg nicht leisten zuhause zu bleiben und nicht erwerbstätig zu sein.

Ein Blick nach vorn: Kooperation, neue Arbeitsmodelle und den Mut, “Nein” zu sagen

Gleichstellungsfragen haben ihren Weg in die Medizin gefunden. Aber was kann ambitionierten jungen Frauen konkret helfen, um im Medizinbereich Fuss zu fassen?

Laut Larson gibt es verschiedene Ansatzpunkte: “Es braucht mehr Flexibilität und neue Arten der Arbeit. Das Homeoffice bspw. sehe ich als Chance für die Frauen. Weiter sollte man ein Netzwerk aufbauen und Menschen finden, die auf der gleichen Wellenlänge sind und einen unterstützen. Und weiter braucht es Mut seitens der Frauen.”

Mut hat Larson auch während ihrer eigenen Karriere bewiesen. Sie erinnert sich:

“Die Stelle, die ich in der Forschung an der Universität Basel im Jahr 1999 angetreten habe, wäre ursprünglich für ein Pensum von 100% vorgesehen gewesen. Da ich aber aufgrund der familiären Situation, ich hatte damals zwei kleine Kinder, nur 60% arbeiten konnte und wollte, habe ich dies auch offen so kommuniziert. Mein Arbeitgeber war damit einverstanden.

Gemäss Larson ist es also wichtig, dass Frauen ihre eigenen Bedürfnisse offen kommunizieren:

“Das Problem ist, dass Frauen, sobald sie eine Aussicht auf einen guten Job haben, sich zu allem verpflichten würden, auch wenn sie dies gar nicht mit ihrer Lebenssituation vereinbaren können.”

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